Don Gao: „Eine Mauer hat noch nie funktioniert“ - Capital.de

2022-07-15 21:14:34 By : Mr. Mike Lin

Capital: Herr Gao, Sie haben schon in den 90er-Jahren angefangen, mit internationalen Partnern zu handeln – obwohl sich China damals erst zaghaft der Weltwirtschaft öffnete. War das ein Abenteuer?

DON GAO: Ja, das war es. Damals zahlten die staatseigenen Handelsunternehmen mit die höchsten Gehälter. Alle Leute mit guten Verbindungen in die Regierung versuchten, dort einen Job zu bekommen. Jeder wollte westliche Länder kennenlernen, und die Arbeit für eine staatliche Handelsfirma verschaffte einem die Möglichkeit zu reisen. Es war absolut nicht normal, so einen Job aufzugeben. Aber das habe ich getan, um meine Firma Positec zu gründen.

Das Problem damals war: Wenn Sie internationalen Handel treiben wollten, benötigten Sie dafür eine Lizenz. Diese wurde aber nur staatseigenen Unternehmen gewährt. Also habe ich eine Vereinbarung mit einem Staatsunternehmen getroffen, um in dessen Namen Geschäfte zu machen. Dafür zahlte ich dann eine Art Gebühr.

War das streng nach den Regeln? Oder haben Sie da ein bisschen gemauschelt?

Damals gab es keine eindeutigen Regeln. Wir mussten es eben ausprobieren. Mein Vorgehen war nicht unbedingt regelkonform, hat aber auch nicht gegen Regeln verstoßen.

Zuerst haben Sie mit Elektrowerkzeugen gehandelt, später wurden Sie selbst zum Hersteller. Wie verlief der Weg dorthin?

1997 habe ich einen wichtigen Kunden aus den USA bekommen: Black & Decker. Es ging um die Herstellung von jährlich 50.000 – wie ist das Wort? – (spricht auf Deutsch) „Winkelschleifern“. 1998 haben wir dann sogar 700.000 Stück verkauft. Damit habe ich im vierten Jahr nach Gründung die komplette Summe wieder reingeholt, die ich in den ersten drei Jahren in den Sand gesetzt hatte.

Und Black & Decker konnte billiger produzieren. Eine Win-win-Situation der Globalisierung …

Nun ja. Im Jahr darauf beschloss Black & Decker, eine eigene Fabrik für Winkelschleifer in China aufzubauen. Ich habe das Geschäft verloren, alle 700.000 Stück. Können Sie sich vorstellen, was das für ein Unternehmen bedeutet?

Auf jeden Fall nichts Gutes.

Das war eine Wegmarke für mich. Also dachte ich lange nach und kam zu dem Schluss, dass das Geschäft als Auftragsfertiger für westliche Konzerne doch keine so großartige Sache ist. Selbst wenn Sie hart arbeiten und sicherstellen, dass Ihre Qualität am besten und Ihre Kosten am niedrigsten sind – Ihr Risiko bleibt hoch. Sie können jederzeit einen Auftrag verlieren, und das war es dann. Also entschied ich, dass ich eine eigene Marke brauche. Es hat sechs Jahre gedauert, dann habe ich meine Gartengerätemarke Worx in Großbritannien eingeführt.

Positec hat bis heute eine sehr starke internationale Ausrichtung. Wie abhängig sind Sie von der Weltwirtschaft?

Unser Hauptabsatzmarkt sind die USA, die rund 50 Prozent unseres Umsatzes ausmachen. Der zweitgrößte Markt ist Europa: Deutschland, Großbritannien, Frankreich, die nordischen Länder, Benelux. Insgesamt kommt Europa auf etwa 35 Prozent. Weitere zehn Prozent entfallen auf China. Dort haben wir erst vor acht Jahren damit begonnen, den Markt zu entwickeln, denn in China gab es keine Baumärkte wie in den USA oder Europa.

Positec produziert in China und verkauft seine Produkte in der restlichen Welt. Beunruhigt Sie der Handelskonflikt, der sich derzeit zwischen den USA, China und Europa aufschaukelt?

Ich glaube, die Handelspolitik des US-Präsidenten beunruhigt nicht nur China, sondern auch Deutschland. Stimmt’s?

Er will eine Mauer bauen! Schon vor 2000 Jahren haben wir uns die Chinesische Mauer ausgedacht. Aber sie hat nie funktioniert! Höchstens für kurze Zeit. Langfristig hat sie uns geschadet. China war einst die führende Wirtschaft der Welt, dann fiel das Land technologisch zurück und wurde von ausländischen Mächten gedemütigt. Wir haben 100 Jahre gebraucht, um uns zu erholen. Wenn eine Regierung ihre Wirtschaft abriegelt, bringt sie das Land um die Möglichkeit, mit der Welt Schritt zu halten. So etwas schwächt ein Land. Wenn Donald Trump morgen Zölle festlegt, wird sie in spätestens acht Jahren ein anderer Präsident wieder abräumen. Auf lange Sicht mache ich mir keine Sorgen. Aber kurzfristig wird uns eine solche Politik eine Menge kosten.

Was würden Strafzölle konkret für Sie bedeuten?

Ich habe meine Experten um Einschätzungen gebeten: Wenn Trump Zölle gegen chinesische Produkte verhängt – ab welchem Prozentsatz würde es Sinn ergeben, die Produktion ins Ausland zu verlegen? Die Antwort lautet: bei 30 bis 35 Prozent. Aber wohin sollen wir gehen? Wir schauen uns Südostasien an, Mexiko, Bulgarien. Alles hängt jetzt wirklich von der Entscheidung aus Washington ab. Wenn Trump etwa nicht nur Zölle gegen China, sondern auch gegen Mexiko erheben sollte, dann bleibt uns nichts übrig, als in den USA zu produzieren.

Dann hätte Trump gewonnen.

Für eine kurze Zeit, ja. Er wird gewinnen! Dafür wurde er ja gewählt, oder? Er denkt: Die USA haben ein Handelsdefizit von 800 Mrd. Dollar. Wenn ich einen Handelskrieg vom Zaun breche, kann ich ihn unmöglich verlieren. Kurzfristig mag das so sein, auf lange Sicht kann es aber ganz anders aussehen. Wenn die USA sich einigeln, der Rest der Welt aber nicht nur Waren, sondern auch Ideen und Wissen frei fließen lässt, verlieren die USA an Wettbewerbsfähigkeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die klugen Köpfe in Amerika das nicht sehen.

Das heißt, Sie glauben immer noch an die Vernunft?

Na ja, hier kommt mein Worst-Case-Szenario. Wenn die westliche Welt sich um Donald Trump zusammenschlösse und mehr Handelsbarrieren gegen China aufstellen würde – das wäre das absolut Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. China hängt so sehr vom Export ab. Es wäre eine Katastrophe.

Haben Sie denn den Eindruck, dass sich Europa mit Trump verbündet? Tatsächlich eskaliert doch gerade der Handelsstreit zwischen Amerikanern und Europäern. Fast täglich gibt es Drohungen mit neuen Zöllen.

Ich halte dieses Szenario für unwahrscheinlich. Aber wenn wir mal bei dem Gedankenspiel bleiben: Wie könnte China auf eine solche Situation reagieren? Einzig und allein, indem es sich noch weiter für die Welt öffnet und wirklich jeden, der mit uns Geschäfte machen will, willkommen heißt. Selbst im Falle eines westlichen Boykotts würde es Leute geben, die sagen: Wenn du noch zögerst, lass mich vorangehen. Irgendeiner würde den ersten Schritt wagen, und dann würden auch andere loslaufen. Bereiten Sie sich also darauf vor, dass China offener sein wird als in der Vergangenheit.

Glauben Sie das wirklich? Bis heute haben westliche Unternehmen doch keinen vollen Zugang zum chinesischen Markt. Sie können nicht in alle Branchen investieren, werden in Joint Ventures gezwungen und bei Staatsaufträgen immer noch diskriminiert.

In seiner Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos hat Herr Liu, der oberste Wirtschaftsberater von Präsident Xi Jinping, mehr Offenheit angekündigt. Auch in der Praxis gibt es Veränderungen: Vor einigen Monaten hat sich China weiter für ausländische Finanzinstitute geöffnet. In der Automobilindustrie mussten Ausländer früher ein Joint Venture mit einem chinesischen Partner eingehen und durften nie mehr als 49 Prozent daran halten. Jetzt können sie mehr als 51 Prozent besitzen. Es war nie erlaubt, eine unabhängige Autofertigung in China zu gründen. Jetzt darf man das.

Aber alle großen westlichen Autohersteller sind ja schon längst im Land. Sie haben bereits ihre Joint Ventures gegründet und ihre Fabriken mit chinesischen Partnern gebaut. Für die Autoindustrie kommt die Öffnung zu einem Zeitpunkt, an dem es irrelevant ist.

Ich bin mir nicht sicher, ob es irrelevant ist. Wenn Sie heute ein Joint Venture haben, können Sie natürlich damit weitermachen. Aber Sie können auch eine neue Fabrik bauen, die zu 100 Prozent Ihnen gehört. Tesla hat gerade genau das angekündigt. Eine unabhängige, 100-prozentige Tesla-Landesgesellschaft produziert künftig in Schanghai.

In Deutschland scheint es heute eine größere Skepsis gegenüber Investitionen aus China zu geben als noch vor wenigen Jahren. Spüren Sie einen Umschwung?

Im Gegensatz zu vielen Medien hat sich die Bundesregierung in der Vergangenheit nie gegen chinesische Investoren positioniert – auch weil unsere Volkswirtschaften voneinander abhängen. Aber mir ist aufgefallen, dass ein deutscher Minister im vergangenen Jahr anfing, vor der chinesischen Initiative für die Neue Seidenstraße zu warnen.

Das war der damalige Außenminister Sigmar Gabriel.

Auch der französische Verteidigungsminister hat sich ähnlich negativ geäußert. Inzwischen scheint es in Europa eine gewissen Besorgnis zu geben, etwa wegen unserer Industriestrategie „Made in China 2025“. Einige in Europa scheinen zu denken: In der Vergangenheit war Chinas wirtschaftlicher Aufstieg kein Problem, weil er nur auf Low-End-Technologie basierte. Aber was passiert, wenn die „Made in China 2025“-Strategie erfolgreich ist?

In wichtigen Zukunftsindustrien wie bei Elektroautos ist China dem Westen schon voraus.

Das stimmt. Und ich spüre, dass das viele im Westen sehr besorgt.

Haben Sie den Eindruck, dass diese Sorgen zuletzt gewachsen sind?

Sie werden größer. Das spüre ich.

Ein Wendepunkt war sicher die Übernahme des Roboterherstellers Kuka 2016. Seitdem sehen viele in Deutschland die Chinesen in erster Linie als Wettbewerber.

Also täuscht mein Gefühl nicht.

Welche Erfahrungen machen Sie persönlich? Sie haben ja eine deutsche Marke gekauft, Kress.

Ich habe nur die Markenrechte gekauft. Das Unternehmen war insolvent, daher glaube ich nicht, dass jemand unglücklich darüber war. Als Erstes haben wir Kress in China gelauncht: eine deutsche Marke, die für Qualität steht. Kress kommt in China so gut an, dass wir die Nachfrage gar nicht komplett bedienen können. Ich kann mich also nicht beklagen. Aber Kress ist eben auch eine ganz andere Größenordnung als Kuka.

Können Sie denn die neue Skepsis nachvollziehen?

Ich denke, in der heutigen Welt kann niemand dem Wettbewerb aus dem Weg gehen. Das Konzept der freien Märkte und des Wettbewerbs ist ja eine Erfindung des Westens! Wie kann er dazu Nein sagen?

Vielleicht hat der Westen das Prinzip des Wettbewerbs auch hochgehalten, weil er bislang immer in der stärkeren Position war. Wettbewerb ist leichter, wenn die anderen weniger Geld haben.

So ist der Mensch eben. Aber wir sollten nicht übersehen, dass Wettbewerb und freier Handel einen insgesamt größeren Markt schaffen. Die chinesische Wirtschaftsleistung liegt heute erst bei 60 Prozent der US-amerikanischen. Es ist klar, dass China in Zukunft die größte Volkswirtschaft der Welt sein wird. Natürlich verschärft sich dadurch der Wettbewerb. Aber zugleich wächst der Markt insgesamt. Und es wird nicht so sein, dass die eine Seite alles gewinnt und die andere alles verliert. Welches Land hat in der Geschichte schon mal alles gewonnen? Keines. Was wir dagegen sehen werden, ist eine neue Balance.

Das Interview ist in Capital 08/2018 erschienen. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay

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